Schönstatt-Frauenbund Jubiläum 2020 Gertraud von Bullion Marie Christmann

Alicja Kostka | Als Gertraud von Bullion sich auf die Aufnahme in den Apostolischen Bund in Schönstatt vorbereitete, dachte sie an den 3. Dezember als Eintrittsdatum, das Fest des hl. Franz Xaver, der als Patron der Missionare gilt. Diese Perspektive ergab sich für sie aus der Zielsetzung des Apostolischen Bundes wie auch aus der eigenen Grundhaltung: Sie war immer schon missionarisch eingestellt, und diese Ausrichtung sollte nun im Bund ganz zur Geltung kommen können.

Auf die Anregung von Pater Josef Kentenich hin ließ sie sich auf den 8. Dezember ein, das Fest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria. Mit diesem Datum gab der Gründer Schönstatts auch allen nachfolgenden Frauen Orientierung: Maria nicht nur als das Urkonzept des Menschen, sondern auch als DIE Missionarin, als der „große Missionar“, wie sie der Hl. Vinzenz Pallotti nannte, zu sehen. Gertraud von Bullion konnte sich gut darin finden.

Sie begab sich dann gemeinsam mit Marie Christmann, ihrer Kusine, auf den Weg, Maria mehr kennenzulernen und eine persönliche Beziehung zu ihr aufzubauen. Das geschah zunächst nicht ohne Skepsis, aber Schritt für Schritt fanden beide im Kapellchen in Schönstatt und in den Exerzitienvorträgen von Pater Kentenich eine faszinierende Inspirationsquelle. Ihr Vorbereitungsbrief, den sie an Marie Christmann im Blick auf den 8. Dezember 1920 schrieb, ermöglicht es, in die erwartungsvolle Atmosphäre dieses historischen Beginns einzutauchen und sich ein Bild davon zu machen, welchen Weg die beiden jungen Frauen nun wählten: durch Maria zu Christus.

Das Besondere der Frauenbewegung von Schönstatt

Beide Protagonistinnen, Gertraud von Bullion und Marie Christmann, haben sich der Gottesmutter nicht direkt im Kapellchen in Schönstatt geweiht, sondern von ihren jeweiligen Orten in Bayern aus – in geistiger Verbindung mit dem Heiligtum. Was war das Besondere der nun entstehenden Frauenbewegung Schönstatts? Es ist nicht leicht, alle Schwerpunkte zu beschreiben. Einige von ihnen möchte ich hier zusammenfassend hervorheben, die schon in den ersten Tagen, Monaten und Jahren der Existenz dieser Bewegung deutlich herausstechen und einen starken Widerhall in den jungen Frauen fanden. Dieses innere Erleben, die Anwendung und die schöpferische Entfaltung der Impulse von Schönstatt ist in den Briefen der beiden nachzulesen. Im Brief zum 8.12.1920 schreibt Gertraud von Bullion z.B. an ihre Kusine: „Immer wird der Gedanke an die Mutter uns zum Sohne führen. Und wenn sie uns zu ihm geleitet und sagt: ‚Siehe, das ist mein geliebtes Kind‘, dann wird er seine milden Hände segnend über uns breiten, uns an sich ziehen als Kind der gleichen Mutter.“

Wirkungskraft durch Persönlichkeit und Weltgestaltung in Gemeinschaft

Vor allem ging es um Persönlichkeitsentfaltung, das Kennenlernen der ureigenen Identität, das Entdecken und die Entfaltung des Charismas, welches Gott in jede einzelne hineingelegt hat. Dieser Weg geschah in der Gemeinschaft, mit Gleichgesinnten, im Gebet und im gegenseitigen Sich-Inspirieren, Unterstützen und Korrigieren. Es ging letztendlich darum, gemeinsam einen Beitrag für die christliche Gestaltung der Welt zu geben.

Aufgrund der unterschiedlichen Charismen und Lebensentwürfe der einzelnen Frauen lag es nahe, dass sich rasch eine Vielfalt von Gemeinschaften entfaltete. Diese hat bis heute eine schöpferische Entfaltung in mehreren Ländern auf allen Kontinenten erfahren. Der Weg der individuellen Persönlichkeitsentwicklung in Gemeinschaft führte von Anfang an zum tiefsten Ziel der Christen, dem Heiligkeitsideal. Gerade diese klare und hohe Zielsetzung weckte in den jungen Frauen Kräfte. Es sollte die Antwort sein auf die Herausforderungen der schwierigen Kriegszeit, wie der Gründer, Pater Kentenich in der Gründungsurkunde Schönstatts bekundete. Die Berufung zur Heiligkeit ist auch heute ein aktueller Aufruf, wie u.a. das Schreiben von Papst Franziskus „Gaudete et exultate“ (2018) erneut nahelegt. Die Frauen des Anfangs hinterließen faszinierende Biographien. Biographien, die bis heute begeistern und Impulse für die Gestaltung des inneren Lebens und eines vielfältigen Engagements in Kirche und Welt geben. Dies macht verständlich, warum es seit Jahrzehnten ernsthafte Bestrebungen gibt, die wagemutigen Frauen von damals der breiten Öffentlichkeit der Kirche vorzustellen (u.a. Gertraud von Bullion und Schw. Emilie Engel).

An Maria orientiert und mit ihr unterwegs

In Schönstatt fanden die Frauen des Anfangs ein Frauenbild, das sich an Maria orientiert, einer Frau, die die Geschichte der Welt am nachhaltigsten verändert hat. Ihr, ihrer Wirkkraft und ihrem inneren Geheimnis wollten sie auf die Spur kommen. Der Gründer Schönstatts erschloss den Frauen Maria gerade als Frau und dies in ihrer unersetzlichen Stellung und Aufgabe im Plan Gottes. Damit schenkte er ihnen eine wichtige Identifikationsfigur. Auch das Verhältnis zu Maria revolutionierte er durch die Einladung zu einem frei gewählten Bündnis mit ihr und eröffnete damit einen neuen, existenziellen Zugang zur Gottesmutter. So ist sowohl den Frauen des Anfangs, als auch den vielen nachfolgenden Frauen bis heute eine Erfahrung geschenkt, als Frau mit Maria unterwegs sein zu dürfen.

Das Verhältnis zum Mann und zur Kultur neu denken

Ein immer noch weiter zu ergründender Teil der Schönstatt-inspirierten Anthropologie und Spiritualität der Frau ist der Auftrag, der der Frau zugedachte ist, den Mann und breiter gedacht die Kultur zu „erlösen“. Am 8. Dezember 1930 spricht Pater Kentenich davon, „dass die Frau einen wesentlichen Teil zur Erlösung der Menschheit beitragen muss, aber in ihrer Frauenart.“ Auch hier eine Anspielung auf Maria. Diese Frauenart zu konturieren und zu bejahen, ist im Zeitalter der Genderdebatte eine heikle Sache. Mit seiner Frauenanthropologie und -spiritualität tritt Pater Kentenich nämlich als Vertreter der Seinsphilosophie auf die Bühne der aktuellen Auseinandersetzungen, allerdings in einem dynamischen Verhältnis der Geschlechter (die Akzente, die dem Frauen- und dem Männergenre zugeschrieben werden, sah er immer in einem „Mehr“- oder „Weniger“-Verhältnis, und damit sehr individuell ausgeprägt).

Auf diesem Hintergrund betrachtet und mit einem Seitenblick auf Maria ist Kentenichs Überzeugung, die sich auf Bernhard von Clairvaux stützt („Non erigitur vir nisi per feminam” – Der Mann wird nicht erlöst, es sei denn durch die erlöste Frau), als sehr anspruchsvoll einzuordnen. Was heißt das heute, in der Debatte um das Leitbild der Kirche, ja der vielfachen Erschütterungen, die sie gerade durchmacht, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, den Beitrag der Frau ernst zu nehmen? Es geht in der Frauenbewegung Schönstatts nicht nur darum, Frauen in ihrer Berufung zu stärken; nein, es geht um viel mehr: Es geht darum, dass Frauen in der ihnen eigenen Art Welt und Kultur mitgestalten.

Als Ermutigung für diese große Aufgabe hilft das Bewusstsein, dass sich die Frauen dieser Aufgabe nicht allein stellen müssen, sondern im existenziellen Bündnis mit der Gottesmutter Maria, die als Mutter der Kirche weiter am Wirken ist. Sie braucht mutige Bündnispartnerinnen.